Monday, August 4, 2014

Faktencheck: Vergewaltigungsmythen

Zum Thema sexuelle Gewalt herrschen in der Gesellschaft noch viele falsche Vorstellung vor (= Vergewaltigungsmythen). Hier ein paar beliebte Mythen im Vergleich zur Realität.



"Die meisten Täter sind Fremde"
Richtig: In über 80% der Fälle kennen Täter und Opfer sich schon vor der Tat. Sexuelle Gewalt kann auch innerhalb einer Beziehung oder Ehe passieren.




"Täter sind immer psychisch gestörte Triebtäter"
Richtig: Die meisten Täter sind allen Diagnosekriterien nach psychisch gesund. Sie wissen genau was sie tun (auch wenn sie es sich oft nach der Tat schön reden).




"Aufreizende Kleidung führt zu Vergewaltigungen"
Richtig: Bei sexueller Gewalt geht es vordergründig nicht um den Sex an sich. Den Tätern geht es um Macht und Kontrolle über einen anderen Menschen. Daher ist es ihnen auch egal was die Person, über die sie Macht ausüben für Klamotten trägt.




"Wer (zu viel) Alkohol trinkt, ist selbst schuld, wenn er vergewaltigt wird"
Richtig: Das Opfer ist nienienienienie nie selbst Schuld. Jeder Mensch hat das Recht dazu sich zu kleiden wie er will, zu flirten und Alkohol zu trinken, ohne sexuelle Gewalt befürchten zu müssen. Jemand der die Grenzen eines anderen Menschens nicht beachtet und dem Einvernehmen egal ist, der wird diese Grenzen missachten, egal ob sein Opfer betrunken oder nüchtern ist.




"Wenn man sexuelle Handlungen nicht möchte, kann man sich immer wehren"
Richtig: Bei Angriffen und Übergriffen reagiert der Mensch entweder durch "flight, fight or freeze" (= Kämpfen/wehren, flüchten oder erstarren). In den allermeisten Fällen kann man sich nicht aussuchen, wie man in der Situation selbst reagiert (sonst würde sich wohl kein Mensch für "erstarren" entscheiden). Bedrohliche, überfordernde und/oder potentiell traumatische Situationen führen zu psychischen/emotionalen Reaktionen wie z.B. Schockstarre, die nicht steuerbar und vom rationalen Denken komplett losgelöst sind. Sexuelle Übergriffe sind vergleichbar mit anderen (lebens-)bedrohlichen Situationen wie z.B. Massenpaniken oder Raubüberfall. Niemand kann im vorhinein wissen, wie er bei einer Massenpanik oder einem Raubüberfall reagieren würde. Auch, dass man in einer ähnlichen Situation in der Vergangenheit eine bestimmte Reaktion gezeigt hat, heißt nicht dass man bei der nächsten Situation genauso reagieren würde - jede Situation ist anders.
Zum Schock hinzu kommt, dass Betroffene oft Angst haben den Täter durch Gegenwehr zu provozieren, sodass seine Gewalt womöglich noch schlimmer ausfällt.


"Nur Menschen mit bestimmten Merkmalen (soziale Schichtszugehörigkeit, Geschlecht, Herkunft, äußerliche Merkmale, Alter) werden zu Opfern, Menschen mit anderen Merkmalen sind sicher"
Richtig: Es stimmt sicherlich, dass manche Menschen statistisch gesehen gefährdeter sind (z.B. junge Frauen, Behinderte, und Transsexuelle). Falsch ist jedoch, dass nur diese Menschen gefährdet sind. Senioren werden genauso vergewaltigt wie Kleinkinder. Männer können auch vergewaltigt werden. Und auch Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, sind betroffen von sexueller Gewalt.
Für die Täter gilt übrigens das gleiche: Auch wenn z.B. Männer statistisch gesehen wesentlich häufiger zu Tätern werden, kann jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, psychischem Gesundheitszustand, oder sozialem Status, zum Täter werden.


"Man sollte jede Vergewaltigung anzeigen und Anzeigen führen immer zu einem fairen Verfahren und sensiblem Umgang mit den Betroffenen von Seiten der Polizei und Juristen"
Richtig: Ein ehemaliger Oberstaatsanwalt hat mal in einer Talkshow gesagt, dass er seiner Tochter im Falle einer Vergewaltigung von einer Anzeige abraten würde. Ich würde nicht soweit gehen, jeder Betroffenen von einer Anzeige abzuraten, aber man muss sich gut überlegen, ob man stabil genug für eine Anzeige ist. Betroffene, die die Tat anzeigen werden immer und immer wieder detailiert zur Tat befragt und fühlen sich durch solche Befragung oft in die Situation zurück versetzt. Zusätzlich kommen oft sehr intime Fragen zur eigenen Person, und Fragen die Vorwürfe (victim-blaming) implizieren. Auch sind die meisten Polizisten und Juristen nicht im Bereich sensibler Umgang mit Betroffenen geschult. All dies kann zur Retraumatisierung führen.
Auch die momentane Gesetzeslage und angewandte Rechtsprechung sind stark verbesserungsbedürftig. Nach der aktuellen Gesetzeslage ist es nur dann sexuelle Gewalt, wenn massive körperliche Gewalt eingesetzt wurde, oder das Opfer sich in einer "schutzlosen Lage" befand (in der Realität wird in den allerwenigsten Fällen eine Situation als "schutzlose Lage" juristisch anerkannt). Zusätzlich muss dem Täter komplett bewusst gewesen sein, dass er gegen den Willen des Opfers handelt (Standardausrede "ich wusste nicht, dass sies nicht wollte"). Von allen angezeigten Sexualstraftaten, kommt es nur in 8,4% der Fälle zu einer Verurteilung.
Ich will keine anzeigewilligen Betroffenen von einer Anzeige abhalten oder ihnen Angst machen. In manchen Fällen kann eine Anzeige durchaus einen psychischen Nutzen für die Betroffene haben. Anzeigen oder nicht-anzeigen ist allerdings eine sehr persönliche Entscheidung, und man sollte die Entscheidung eines Betroffenen immer aktzeptieren. Wer überlegt anzuzeigen, oder sich bereits dafür entschieden hat, sollte sich aufjedenfall bei Beratungstellen wie dem Frauennotruf oder Wildwasser informieren, und sich einen Opferanwalt suchen.


"Männer können nicht vergewaltigt werden"
Richtig: Jede/r kann vergewaltigt werden (auch wenn es natürlich statistisch gesehen Frauen wesentlich häufiger passiert. Die Statistik hilft aber dem individuellen männlichen Betroffenen nicht weiter). Eine Erektion ist kein Einvernehmen. Erektion oder Orgasmen sind rein körperliche, automatische Reaktionen zu Stimulation, sind aber vollkommen losgelöst vom mentalen wollen oder nicht-wollen. Eine Vergewaltigung ist für einen Mann genauso schlimm und traumatisierend wie für eine Frau.



"Es ist nur dann sexuelle Gewalt, wenn es zu Penis-in-Vagina-Pentration kommt"
 Richtig: Als Vergewaltigung zählt jede Form von Penetration ohne Einvernehmen, d.h. auch anal, oral, durch ein Objekt oder mit den Fingern. Nicht-penetrative Formen von nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen zählen als sexuelle Nötigung. Sexuelle Nötigungen beinhalten z.B. nicht-penetrativen Oralverkehr, oder genitale Stimulation durch die Hand (also sowohl wenn man dazu genötigt wird Berührungen zu empfangen, als auch Berührungen auszuführen).
Ob es eine vaginale Vergewaltigung, eine andere Form von Vergewaltigung, oder eine sexuelle Nötigung war, sagt nichts über den Grad der Traumatisierung des Opfers aus. Sexuelle Gewalt ist immer schlimm, und kann immer zu massiven Verletzungen und Traumata führen.
Übrigens, auch wenn sexuelle Belästigung keine direkte sexuelle Gewalt ist, ist auch diese und ihre Folgen nicht zu unterschätzen.


"Jeder der ein Kind missbraucht, ist pädophil und alle Pädophile missbrauchen Kinder"
Richtig: Viele der Menschen, die Kinder missbrauchen sind nicht pädophil. Wie bereits gesagt, geht es bei sexueller Gewalt meistens nicht um den Sex an sich, sondern eher um die Macht und Kontrolle die der Täter über das Opfer ausüben kann. Da Kinder besonders hilflos und schutzlos sind, haben Täter oft das Gefühl, über sie noch mehr Macht ausüben zu können, als bei Erwachsenen. Man muss sich nicht prinzipiell zu Kindern sexuell angezogen fühlen, um von dieser zusätzlichen Machtebene angeturnt zu sein.
Pädophilie ist zunächst einmal eine Neigung, für die der Pädophile nichts kann. Vorwürfe kann man dem Pädophilen erst dann machen, wenn er seiner Neigung Handlungen folgen lässt. Es gibt mittlerweile einige Therapieangebote für Pädophile (z.B. "Kein Täter werden"). Jeder hat die Möglichkeit zu entscheiden, ob er sich lieber Hilfe suchen oder lieber das Leben eines anderen Menschen zerstören möchte.


"Wenn jemand nicht eindeutig 'nein' sagt, bedeutet das, dass man sein Einvernehmen hat"
Richtig: Das Ausbleiben eines "neins" ist nicht automatisch ein "ja". Es gibt viele Gründe, wieso ein Mensch nicht in der Lage ist nein zu sagen, wie z.B. eine Schockstarre, Überforderung, überrumpelt von der Situation sein, Angst uvm. Weinen, erstarren, "vielleicht später", "ich weiß nicht", Hand wegschieben, sich weg drehen, sich nicht bewegen sind alle als "nein" zu verstehen. Zusätzlich gibt es Situationen, in denen man nicht in der Lage ist, eine freiwillige Entscheidung zu treffen: Wenn man stark betrunken ist, wenn man unter starkem Drogeneinfluß steht, wenn man schläft, oder ein Kind ist, kann man kein Einverständnis/Einvernehmen geben. Mit Menschen die so oder ähnlich "beeinträchtigt" sind Sex zu haben, ist eine Vergewaltigung.
Please google: Enthusiastic consent (werde dazu irgendwann wahrscheinlich auch nochmal einen Blogpost schreiben).


"Wenn sie nein sagt, meint sie ja"
Richtig: Nein ist nein, ja ist ja. Wer aus einem "nein" in seinem Kopf ein "ja" macht, oder eine Person so lange drängt bis sie nachgibt, ist ein Vergewaltiger.



"Wer A sagt muss auch B sagen"
Richtig: Man kann sexuelle Handlungen/Sex jederzeit abbrechen. Was sich in einem Moment noch gut angefühlt hat, kann einem im nächsten Moment unangenehm sein. Man hat jederzeit das Recht dazu frei über seinen Körper und was mit ihm geschieht zu Verfügung. Man kann jederzeit "stopp" sagen, und der Partner muss dann sofort abbrechen. Wer gegen den Willen des Partners weiter macht, ist ein Vergewaltiger. Nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen sind immer sexuelle Gewalt, egal ob man mit der Person schon mal Sex hatte, oder ob man währenddessen nicht mehr will.


"Viele Frauen behaupten nur sie seien vergewaltigt worden um sich an jemandem zu rächen oder ihm eins reinzuwürgen"
Richtig: Die Prozentzahl an Falschbeschuldigungen von angezeigten Sexualstraftaten, liegt genauso wie bei anderen Straftaten, bei etwa 3%. Wenn ein Mensch sagt, dass er sexuelle Gewalt erfahren hat, kann man ihn schon mal rein statistisch gesehen ruhig einen Vertrauensvorschuss geben. Abgesehen davon, dass die psychischen Folgen für Betroffene die zu unrecht als "FalschbeschuldigerIn" bezeichnet werden, immens sind. 


No comments:

Post a Comment